Ende November 2023 haben wir in einem offenen Brief an den Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und an den Landesverkehrsminister Winfried Hermann die Ergebnisse der Studie von T&E und unsere Folgerung daraus – nämlich den Nicht-Weiterbau der B523 – ausführlich dargestellt (siehe Offener Brief an Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und Landesverkehrsminister Winfried Hermann).
Kurz vor Ende des Jahres 2023 kam aus dem Bundesverkehrsministerium ein Antwortbrief, den wir mit Erlaubnis des Ministeriums hier veröffentlichen:
Mit dieser Antwort des Bundesverkehrsministeriums können wir nicht zufrieden sein. Unsere Kritik an den Argumenten des Ministeriums haben wir in der folgenden Stellungnahme formuliert.
Stellungnahme der Bürgerinitiative zum Schreiben von Dr. Stöckert, Bundesministerium für Digitales und Verkehr
Die Bürgerinitiative NORDZUBRINGER NEIN DANKE hat im November 2023 einen Brief an Herrn Dr. Volker Wissing, den Bundesminister für Digitales und Verkehr, geschickt, in dem sie darauf hingewiesen hat, dass der renommierte Umweltverband Transport & Environment (T&E) in einer wissenschaftlich fundierten Studie vom Oktober 2023 festgestellt hat, dass die meisten Straßenbauprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 nicht wirtschaftlich sind. Das gilt auch für den Weiterbau der B 523 (Nordzubringer 2). Die Bürgerinitiative NORDZUBRINGER NEIN DANKE forderte daher in dem Brief, die Planungen für den Weiterbau sofort einzustellen, da die Kosten des Projekts den Nutzen deutlich übersteigen würden und die Schädlichkeit für Klima und Umwelt zu groß wären!
Nun liegt die Antwort des BMDV vor. Angeblich kennt das Ministerium die oben angesprochene Studie von T&E nicht, was sehr verwunderlich ist, da diese den Kernbereich des Aufgabengebiets des Ministeriums betrifft und sie an prominenten Stellen (Spiegel, Zeit) ausführlich besprochen wurde. Stattdessen werden die Grundlagen für die Planungen nochmals breit dargestellt, die allerdings die folgende kritische Kommentierung erfordern:
- Das Ministerium schreibt, die „zur Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans angewandte und aktuelle Bewertungsmethodik“ wird für die Bewertung des Projekts herangezogen. Das ist zumindest missverständlich, wenn nicht sogar falsch: Die angewandte Bewertungsmethodik ist anerkanntermaßen nicht aktuell. Sie war es vielleicht bei der Aufstellung des Plans 2016. Inzwischen hat sich die Welt sowohl hinsichtlich Wirtschaftlichkeit als auch hinsichtlich Klimaveränderung drastisch verändert. Nicht zuletzt aus solchen Gründen gibt es die gesetzlich vorgeschriebene Bedarfsplanüberprüfung spätestens nach 5 Jahren. Die ist aber seit mehr als 2 Jahren überfällig.
- Die Studie von T&E bemängelt, dass in der Bewertungsmethodik für den BWP der induzierte Verkehr beim Weiterbau der Straße (induzierter Verkehr = zusätzlicher angezogener Verkehr durch einen Straßenneubau) zu gering angesetzt wird. Das Ministerium geht leider nicht darauf ein, mit welcher Zunahme des induzierten Verkehrs im aktuellen BVWP für die B 523 gerechnet wird und von welcher Erhöhung der daraus resultierenden Steigerung des CO2-Ausstoßes man ausgehen müsste. Im Sinne einer transparenten Information der Öffentlichkeit wäre hier die konkrete Angabe des angesetzten zusätzlichen induzierten Verkehrs und der daraus resultierenden CO2-Kosten erforderlich.
- Das Ministerium schreibt, dass es die entsprechenden Maßnahmen zur gesetzlich vorgeschriebenen Durchführung der der Bedarfsplanüberprüfung (BPÜ) in der letzten Legislaturperiode „fristgerecht“ eingeleitet hat. Allerdings fordert das Gesetz, dass die Überprüfung spätestens nach dem Ablauf von fünf Jahren durchzuführen ist und ggf. Anpassungen der Bedarfspläne vorzunehmen sind. Das hätte also bereits 2021 erfolgen sollen, jetzt passiert es erst 2024 – fast 3 Jahre zu spät und keinesfalls fristgerecht!
- Zu den Folgekosten für die aus dem Straßenbau resultierenden CO2-Umweltbelastungen wird in dem Antwortbrief des Ministeriums angeführt: „Bei der Aktualisierung der Kosten- und Wertansätze für die Bundesverkehrswegeplanung wird jeweils die aktuelle Empfehlung des UBA (Umweltbundesamtes) berücksichtigt und abschließend ein Wert für künftige Projektbewertungen festgelegt.“ Hier geht das Ministerium von einem 2016 geltenden Kostenansatz von 145€/t CO2-Äquivalent aus. Inzwischen hat das UBA die Methodenkonvention 3.1. zur Ermittlung von Umweltkosten 12/2020 vorgenommen (Abschlussdatum war August 2020). Hier werden die Klimakosten für das Jahr 2030 bei einer Höhergewichtung der Wohlfahrt heutiger Generation gegenüber zukünftigen Generationen mit 195€/t CO2 angesetzt. Bei einer Gleichgewichtung der Wohlfahrt heutiger und zukünftiger Generationen betragen die Klimakosten 700€/t CO2! Diesen zweiten Wert muss man annehmen, da niemand will, dass es zukünftigen Generationen schlechter gehen soll als uns. Wenn man diesen Wert von 700€/t CO2 ansetzt, stellt man fest, dass das Nutzen-Kosten-Verhältnis für viele Straßen, besonders auch für den zweiten Bauabschnitt der B523, nicht mehr wirtschaftlich ist. Dies wird in der von uns angesprochenen T&E-Studie wissenschaftlich fundiert belegt. Daher ist die Einstellung der Planung dringend geboten.
- Zur Frage, ob die Einstufung des B 523 in den Vordringlichen Bedarf überhaupt gerechtfertigt ist, schreibt das Ministerium, dass diese Einstufung deshalb vom Bund in den Vordringlichen Bedarf 2016 vorgenommen wurde, damit die hochbelastete B 33 im Raum Villingen-Schwenningen entlastet wird. Jetzt belegen die Verkehrsprognosen des Regierungspräsidiums Freiburg aber, dass diese Entlastung praktisch gar nicht gegeben ist und teilweise das genaue Gegenteil bewirkt: So nimmt der Verkehr der B 33 im nordwestlichen Teil von Villingen (beim Mönchsee, Richtung Mönchweiler) um mehr als 10 % zu. Damit ist die Begründung für die Einstufung nicht gegeben. Der Weiterbau hat nichts im Vordringlichen Bedarf zu suchen!
Die Kartenausschnitte zeigen (lt. Regierungspräsidium Freiburg) den prognostizierten Verkehr für das Jahr 2040 beim Mönchsee ohne Weiterbau der B523 links (Prognose Nullfall 2040) und die Differenzbelastungen zu 2040 mit Weiterbau (rechter Kartenausschnitt). Die Zahlen geben den durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) an.
Quelle: https://rp.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/RP-Internet/Freiburg/Abteilung_4/Referat_44/b523-ortsumfahrung-villingen-schwenningen/Protokoll_InfomarktOnlineBeteiligung_B523.pdf
Ergänzende Anmerkung: Vergleichbares gilt im Übrigen auch für die angebliche Entlastung des innerstädtischen Verkehrs, die von der örtlichen Politik gerne als Rechtfertigung für den Straßenneubau angeführt wird. Auch hier zeigt sich, dass es beispielsweise für die Wieselsbergstraße und den Nordring zu keiner (hörbaren) Entlastung kommt (siehe unsere ausführliche Analyse Entlastung von innerstädtischen Straßen im Stadtbezirk Villingen)! Wenn man dann noch sieht, dass die Anzahl der Fahrzeuge pro Tag auf dem Nordring fast doppelt so hoch ist wie die prognostizierte Belastung auf der geplanten B 523-Verlängerung, so erkennt man, dass der Straßenneubau keine Lösung für die innerstädtischen Verkehrsprobleme darstellt. Hier muss die Stadt Villingen-Schwenningen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und ihre diesbezüglichen Hausaufgaben dringend angehen.
Fazit: Wir fordern aus den angeführten Gründen, die Planungen für den B 523-Weiterbau sofort einzustellen! Alles andere wäre eine gigantische Verschwendung von Steuergeldern.
Dr. Anton Karle, für die Bürgerinitiative NORDZUBRINGER NEIN DANKE