Nutzen-Kosten-Verhältnis: Überraschungs-Ei und Wundertüte oder eher Mogelpackung?

Man nehme für ein gewünschtes oder geplantes Straßenbauprojekt 

🍏 einen gewollt niedrigen Preis für die eventuellen Baukosten (kritisiert der Bundesrechnungshof seit Jahren), 
🍏 zaubere beim Nutzen eine großzügig prognostizierte Zeitersparnis aus dem Hut,
🍏 multipliziere diese mit einem fiktiven Stundensatz pro eingesparter Fahrtzeit, 
🍏 lasse den Preis für die Umweltbelastungen als sogenanntes nicht-monetarisiertes Kriterium komplett unter den Tisch fallen, 

dann hat man im Sinne des Bundesverkehrswegeplans von 2016 (damaliger Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU) alles richtig gemacht und garantiert ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von über 1,0 erreicht. Mit anderen Worten: Der Nutzen ist höher als die Kosten und damit gilt der Bau dieser projektierten Straße als „wirtschaftlich“.

Diese Ungereimtheiten beim Nutzen-Kosten-Verhältnis kann/konnte man in der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ vom 25.04.2023 ungeschminkt genießen. Diese Sendung kann aufgerufen werden unter: https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt

Während landläufig immer von einem Kosten-Nutzen-Verhältnis die Rede ist, wird über den Bundesverkehrswegeplan die Reihenfolge sehr geschickt umgedreht und ein Nutzen-Kosten-Verhältnis „berechnet“: Der wirtschaftliche Nutzen einer neuen Straße wird ins Verhältnis zu den Baukosten gesetzt und wirtschaftlich vertretbar ist ein Projekt nur dann, wenn der Nutzen größer ist als die Kosten, wenn also das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) größer ist als 1. Besonders problematisch ist für die Berechnung des NKV, dass die sogen. Umwelt-Betroffenheit zwar festgestellt wird, dass dafür aber kein Wert in Euro ermittelt wird – man spricht deshalb von einem nicht-monetarisierten Kriterium. Das betrifft alle Formen der Umweltauswirkungen wie z. B. CO2, Luftschadstoffe, Lärm, Flächenverbrauch, Zerschneidung von Erholungsgebieten usw. Leider muss man feststellen, dass die vorgesehene Umweltprüfung kein Straßenprojekt stoppt, das als vordringlich eingestuft wurde. Damit ist die Umweltprüfung Augenwischerei, eine Farce!

Die folgende Grafik des BUND aus dem „Grünbuch nachhaltige Planung der Verkehrsinfrastruktur“ (https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/mobilitaet/mobilitaet_gruenbuch_bvwp.pdf) zeigt, dass jedes Projekt als wirtschaftlich angesehen werden kann, wenn man die Nutzenfaktoren Reisezeitgewinne und Transportkostensenkungen übermäßig stark gewichtet.

Die Umweltbetroffenheit ist lt. BVWP hoch

Im Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP 2030) wird für den Weiterbau der B523 – dort seltsamerweise als Ortsumfahrung Villingen-Schwenningen bezeichnet -, die Umweltbetroffenheit als „hoch“ eingestuft: Unter dem Punkt „Umwelt- und Naturschutzfachliche Beurteilung wird festgestellt: „Das Neubauprojekt der OU Villingen-Schwenningen liegt größtenteils in landwirtschaftlich geprägtem Raum mit bewaldeten Abschnitten. Die Trasse durchquert auf fast gesamter Länge ein Vogelschutzgebiet. Erhebliche Beeinträchtigungen werden als wahrscheinlich bewertet. Weiterhin wird der Randbereich eines Großraums für Feuchtlebensräume und ein Großsäugerfunktionsraum auf kurzer Strecke gequert. Ein Kernraum für Feuchtlebensräume liegt innerhalb der Wirkzone des Projekts. Weiterhin liegen die westlichen 3/4 der Trasse innerhalb eines Naturparks.“

Welche Folgen hat diese Einschätzung der Umweltbetroffenheit für das Projekt Nordzubringer: Keine! 

Der BUND hat es in seinem“Grünbuch nachhaltige Planung der Verkehrsinfrastruktur“ (Link s.o.) auf den Punkt gebracht: „Nichts zählt, außer Geschwindigkeit“ und „Umweltaspekte spielen faktisch keine Rolle“. Das Einsparen von Zeit ist der wichtigste Faktor für die Berechnung des Nutzens, auch wenn die Zeitersparnisse reine Fiktion sind.

Die Berg- und Talfahrt des Nutzen-Kosten-Verhältnisses von 2010 bis heute:

1. Das Gutachten der Uni Köln (2010)
In einem Gutachten der Uni Köln, das von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg im Jahr 2010 in Auftrag gegeben wurde, heißt es: „Der Neubau stellt sich mit einem Nutzen-Kosten-Verhältnis von 5,2 überaus wirtschaftlich dar. Getragen wird der Nutzen von den Einsparungen bei den Reise- und Transportzeiten.“ (Die damals kalkulierten Kosten sind uns nicht bekannt.) Negativ für die Befürworter schlagen hier die höheren Betriebs- und Treibstoffkosten zu Buche, weil man auf der neuen Straße schneller fahren könnte.

2. Der Bundesverkehrswegeplan 2030
Im Bundesverkehrswegeplan 2030 geht man von folgenden Grunddaten aus: Länge 5,5 km, Gesamtprojektkosten 25,9 Mio € (Preisstand 2014). Für das Nutzen-Kosten-Verhältnis wird für den Nutzen ein Barwert von 66,4 Mio € berechnet, für den Faktor „bewertungsrelevante Kosten“ ein Barwert von 21,6 Mio €. Das ergibt ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 3,1. Die Umweltbetroffenheit wird zwar als „hoch“ bewertet, aber das fließt nicht in die monetäre Bewertung ein (?).

3. Verkehrswissenschaftliche Untersuchung 2016 von Prof. Schulz, Zeppelin Universität, im Auftrag von IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und Regionalverband Schwarzwald-Baar-Heuberg
https://www.ihk.de/blueprint/servlet/resource/blob/4279038/3084f6e46c0fd67e7a6fbb3f582ab9ca/verkehrsgtachten-sbh-data.pdf
Hier wird neben erhöhten Betriebskosten durch das schnellere Fahren und dem größeren CO2-Ausstoß auf der neuen Straße der Zeitgewinn mit 5,9 Mio € pro Jahr berechnet. Wir haben nachgerechnet: Bei 12.000 Fahrzeugen / Tag und den im Gutachten aufgeführten Kostensätzen für PKW, LKW…  kommen wir auf einen Zeitgewinn pro Fahrt von 6 Minuten und 36 Sekunden! Berücksichtigt man den derzeitigen Zeitaufwand für die Strecke ohne B523, berechnen wir eine vom Gutachten prognostizierte durchschnittliche Geschwindigkeit von 235,71 km/h. Der Gutachter prognostiziert ein sagenhaftes Nutzen-Kosten-Verhältnis von 7,2!

4. Die Zahlen des Regierungspräsidiums 
Die Variante 5.2 sieht einen neuen Knotenpunkt von der B33 an die „dann bevorrechtigte“ B523 vor mit einem großen Brückenbauwerk über den „umweltfachlich wertvollen Bereich südlich des Mönchsees“. Für diese Variante werden die Kosten auf ca. 46 Mio € geschätzt – allerdings nur für die Baukilometer 0,0 – 2,0, die Kosten für die restlichen 3,5 km werden nicht beziffert. 
Bei Variante 6 wird die B33 mit der B523 durch ein halbes Kleeblatt verknüpft. Hier liegt die vorläufige Kostenschätzung bei ca. 18 Mio € – auch nur für die Baukilometer 0,0 – 2,0 und ohne Angaben für die weiteren 3,5 km.

5. Die Berechnung der BI NORDZUBRINGER NEIN DANKE
Der Wert, der für den Nordzubringer – sprich den 2. Bauabschnitt der B523 – berechnet wurde, liegt bei 3,1, wenn man von den ursprünglich prognostizierten Baukosten in Höhe von 25,9 Millionen Euro ausgeht (Quelle: Bundesverkehrswegeplan 2016). Damit wäre der Nutzen rund dreimal so hoch wie die Kosten. 

6. Die Ergebnisse einer Studie des Umweltverbandes Transport & Environment
Der Umweltverband Transport & Environment (T&E) – die Dachorganisation von über 50 nichtstaatlichen europäischen Organisationen – kommt in einer ganz aktuellen Studie vom Oktober 2023 zu dem Ergebnis, dass das Projekt „Weiterbau B523“ als nicht wirtschaftlich eingestuft werden muss, da das Nutzen-Kosten-Verhältnis nur einen Wert von 0,1 ergibt.

Berg- und Talfahrt des Nutzen-Kosten-Verhältnisses
JahrQuelleProjektkosten (Prognose)NKV
2010Gutachten der Uni Köln m Auftrag von IHK und dem Regionalverband Schwarzwald Baar HeubergNutzen 0,89 Mio € / Jahr, NKV 5,2 bei Zeitkostengewinn von 6,59 €5,2
2016Bundesverkehrswegeplan 203025,9 Mio € für 5,5 kmBarwert Nutzen: 66,4 Mio € (12,1 Mio/km)Barwert (bewertungsrelevante) Kosten: 21,6 Mio € (3,93 Mio/km)3,1
2016Verkehrswissenschaftliche Untersuchung Zeppelin UniversitätNKV 7,2, mit der prognostizierten Zeitersparnis errechnen wir eine Durchschnittsgeschwindigkeit von allen Fahrzeugen, inkl. LKW und Bus von 235 km/h7,2
2023Regierungspräsidium 
Variante 5.2 (bevorzugte Variante)
46 Mio für 2 km großes Brücken-bauwerk beim Mönchsee (keine Angaben für die restlichen 3,5 km)0,5*)
2023Regierungspräsidium 
Variante 6 (alternative Variante)
18 Mio € für 2 km mit halbem Kleeblatt beim Mönchsee (keine Angaben für die restlichen 3,5 km)1,3*)
2023Berechnung BI NORDZUBRINGER NEIN DANKE für Variante 5.246 Mio (für km 0-2) + 70 Mio € (für km 2-5,5) = 116 Mio € – Barwert der bewertungsrelevanten Kosten: 116 Mio / 0,87 = 100,92 Mio €0,66**)
2023Berechnung BI NORDZUBRINGER NEIN DANKE für Variante 618 Mio (für km 0-2) + 70 Mio € (für km 2-5,5) = 88 Mio € – Barwert der bewertungsrelevanten Kosten: 88 Mio / 0,87 = 76,56 Mio €0,88**)
Oktober
2023
T&E-Studie: Angepasste Nutzen-Kosten-AnalyseGesamtnutzen (nach T&E-Berechnungen): 3,01 Mio € / 24,71 (Investitionskosten) = 0,10,1

*) Angaben gelten nur für die ersten 2 km beim Mönchsee, Barwert Nutzen gemäß Bundesverkehrswegeplan
**) Barwert Nutzen gemäß Bundesverkehrswegeplan, Barwert Kosten analog der Berechnung der Stadt VS für die 2019 geplante Anbindung Gewerbegebiet Schwenningen-Ost zur B523 alt (10 Mio € für 500 m ergibt 70 Mio € für 3,5 km)

4 Folien geben einen weiteren Überblick über den Nutzen-Kosten-Vergleich der B523 neu.
Anmerkung zur Berechnung der Kosten: Bei unserer Rechnung gehen wir davon aus, dass 20 Mio € pro kmrealistisch sind, zumal man beim Weiterbau der B523 breitere Fahrbahnen und zusätzliche Kosten für Brücken etc. berücksichtigen muss.