Leserbriefe: Karger kontra Reiser

In Leserbriefen der örtlichen Presse haben sich der Filmemacher und ehemalige SWR-Journalist Klaus Peter Karger und Altstadtrat Ernst Reiser aus Nordstetten ein heftiges Duell um den Nordzubringer geliefert. Dieses Duell nahm seinen Ausgangspunkt mit einem Leserbrief von Klaus Peter Karger, dem der Schwarzwälder Bote die Überschrift „Die Kehrtwende des Ernst Reiser in Sachen Weiterbau des Nordzubringers“ (Schwarzwälder Bote, 18.07.2023) gab.

Der Leserbrief von Klaus Peter Karger im Wortlaut:

“In der Diskussion um den umstrittenen Weiterbau des Nordzubringers B 523 lohnt es sich, einen Blick auf den Nordstetter Landwirt Ernst Reiser zu werfen. Der Landwirtschaftsmeister, Hof- und Grundbesitzer ist ja eine stadtbekannte Persönlichkeit. Bis 2019 saß er als streitbarer Freier Wähler im Gemeinderat, fast 40 Jahre lang. Aktuell kämpft der 83-Jährige für den Weiterbau des Nordzubringers.
Beim Ortstermin Ende Mai mit Oberbürgermeister Jürgen Roth in Nordstetten trug er die Verkehrsprognosen des Regierungspräsidiums Freiburg vor und folgerte daraus, dass Nordstetten zwingend den 2. Bauabschnitt der B 523 braucht.
Zur Verkehrsentlastung innerorts.Reiser erweckte dabei den Eindruck, dass er für ganz Nordstetten spricht. OB Jürgen Roth nannte ihn scherzhaft auch den „heimlichen Ortsvorsteher“. Beim Ortstermin protestierten dann allerdings andere Landwirte aus Nordstetten heftig gegen die geplante Straße.
Die Trasse würde durch ihre Felder gehen, die Bauern sprachen von Existenzbedrohung. Ernst Reiser vertritt also doch nicht den ganzen Ort. Was erstaunlich ist: Die Kehrtwende, die Ernst Reiser seit den 1980er Jahren vollzogen hat. Stolze 180 Grad. Damals war der Landwirt nämlich ein erbitterter Gegner des 2. Bauabschnitts der B 523. Er gehörte mit Karl Bauer (Grüne), Doris Feld (FDP), Armin Frank (SPD) und Johannes Hauger (CDU) zur „Aktionsgemeinschaft B 523 gegen den Nordzubringer II“. „Die Landwirtschaft kann diese Straße nicht mehr verkraften“, soll er laut Bericht in einer Lokalzeitung vom 17. März 1986 bei einer Podiumsdiskussion der Jungen Union gepoltert haben.
Die Straße sei „ein planerischer Unfug sondersgleichen“, wird Reiser zitiert. Und weiter wörtlich: Der „beispiellosen Brutalität der Straßenplaner gegen Natur und Mensch muss endlich der Riegel der Vernunft vorgeschoben werden.“ Aber damals war Ernst Reiser auch noch selbst als Vollerwerbslandwirt tätig. Später übergab er den Hof an seinen Sohn, aber nur noch im Nebenerwerb mit Maisanbau und Grünland, ohne Vieh.
Was Ernst Reiser heute umtreibt, hat er in einem Nebensatz beim Ortstermin in Nordstetten durchblicken lassen: Der drohende Wertverlust der Immobilien an der Durchgangsstraße K 5709, falls der Verkehr weiter zunehmen sollte. Sein Hof, im Erdgeschoß eine Gaststätte, liegt direkt an dieser Straße. Da muss ein wenig „Brutalität der Straßenplaner gegen Natur und Mensch“ dann doch erlaubt sein. Auch wenn sich überall die Anzeichen der drohenden Klimakatastrophe mehren und dieses Straßenbauprojekt ein kleiner Mosaikstein dabei ist.

Klaus Peter Karger, Villingen-Schwenningen”

Ernst Reiser kontert in einem Leserbrief vom 24.07.2023

In der darauffolgenden Antwort im Leserbrief vom 24.07.2023 begründet Ernst Reiser diese „Kehrtwende“ mit einer „lawinenartigen Zunahme des Verkehrs“, und wie sich „laut den Verkehrsprognosen des Regierungspräsidiums der Verkehr durch Wohngebiete weiterentwickelt“ ohne den Lückenschluss, und dies beträfe Weilersbach, Nordstetten, Obereschach und auch den Stadtbezirk Villingen. Ernst Reiser wirft am Ende seines Leserbriefs Klaus Peter Karger vor, in einer ruhigen Straße mit Tempo 30 quasi im „Paradies“ zu wohnen, während andere in der „Hölle“ leben müssten, weil „diesen Menschen ihre Wohn- und Lebensqualität total zerstört“ werde und bezeichnet seinen Kontrahenten im letzten Satz als „charakterlos und egoistisch“. 

Zum Nachlesen: https://www.suedkurier.de/region/schwarzwald/villingen-schwenningen/krager-attackiert-reiser-als-politischen-wendehals;art372541,11653649

Ein respektvoller Umgang miteinander ist ein Gebot der Fairness, auch wenn man in der Sache gegensätzlicher Meinung ist. Mit den Adjektiven „charakterlos und egoistisch“ hat Ernst Reiser eine Grenze überschritten, die der Sache nicht weiter hilft.

Wie sehen die Fakten aus?
Ernst Reiser war mit Karl Bauer (Grüne), Doris Feld (FDP), Armin Frank (SPD) und Johannes Hauger (CDU) Mitunterzeichner des Flyers „Wir brauchen keinen Nordzubringer II“ aus dem Jahre 1986. In diesem Flyer (siehe auch: Flyer der Aktionsgemeinschaft B 523 von 1986) heißt es wörtlich: 

➣ “Er bringt nur wenigen einen Nutzen und dieser Nutzen ist denkbar gering (höchstens zwei bis drei Minuten Fahrzeitverkürzung)”
➣ “Er zerstört landwirtschaftliche Nutzfläche … zerschneidet Flurstücke, führt zu einer Verschlechterung des Kleinklimas”.
➣ “Er zerstört Landschaft und Naherholungsgebiete.”
➣ “Er zerstört wertvolle Pflanzen … (und) Lebensräume selten gewordener Tierarten.”
➣ “Er zerstört sieben bis acht Hektar Wald, führt zu vermehrtem Windbruch und macht erhebliche Kulturinvestitionen zunichte.”
➣ “Außerdem steht der Nordzubringer II im Widerspruch zum Umweltprojekt Schwarzwald…”

Im Vergleich zum Jahr 1986 hat sich sicher ein wesentlicher Faktor verschlechtert, auf den sich jetzt Ernst Reiser beruft: die Zunahme des Straßenverkehrs. Das wird von niemand bestritten, auch wenn momentan keine validen Verkehrszahlen vorliegen. Das Regierungspräsidium Freiburg hat die Fa. Rapp beauftragt, Prognosen für das Verkehrsaufkommen im Jahr 2040 zu erstellen, um mit Hilfe dieser prognostizierten Verkehrszahlen den Weiterbau der B 523 zu rechtfertigen. Zum einen haben Prognosen immer den Mangel, dass Vorhersagen über einen so langen Zeitraum mit sehr vielen Unsicherheiten verbunden sind und zum anderen leisten sie einer Fehlentwicklung – hier der Zunahme des Straßenverkehrs – eher Vorschub, als sie zu stoppen (siehe auch Ziele statt Prognosen).

Wenn der Nordzubringer gebaut werden sollte, gibt es wenige Gewinner und sehr viele Verlierer. Mensch, Natur und Umwelt sind einer riesigen Bedrohung ausgesetzt, die ein Umdenken auf allen Ebenen, global und regional, erfordern. Der Klimawandel zeigt momentan seine massiven Auswirkungen im Mittelmeerraum mit verheerenden Bränden infolge einer noch nie dagewesenen Hitze und Trockenheit. Wollen wir unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Umwelt übergeben, müssen wir alles tun, um die Umwelt zu schützen. Dazu gehören u.a. alle Maßnahmen zur Reduzierung des Straßen-Verkehrsaufkommens, zum Stopp des Flächenverbrauchs und der Versiegelung. Nach Recherchen von BUND Baden-Württemberg, Landesnaturschutzverband und Badischer Landwirtschaftlicher Hauptverband haben die letzten beiden Generationen so viel Siedlungsfläche verbraucht wie die 80 Generationen davor. Der Nordzubringer wird eine Fläche versiegeln, die knapp 30 Fußballfeldern entspricht, das Kleinklima wird sich massiv ändern, letzte kleine Waldflächen auf dem Guggenbühl werden vertrocknen oder vom nächsten Sturm dezimiert.

Ein Bürger aus Nordstetten darf zu Recht beklagen, dass Lärm und Abgase aus dem Verkehrsaufkommen auch in kleinen Ortschaften wie Nordstetten zugenommen haben. Sinnvoll wäre es dafür zu kämpfen, dass eine Verkehrswende in Angriff genommen wird und dass als Zwischenlösung Tempo 30 (wie in Freiburg) oder Tempo 40 (wie in vielen Gemeinden am Bodensee) eingeführt wird. Über 6.000 Anwohner in den Wohngebieten Haslach und Wöschhalde haben aber auch das Recht, gegen ein über 100 Millionen teures Straßenprojekt zu sein, weil in ihrer unmittelbaren Nähe beim Bau des Nordzubringers täglich Tausende Autos und Motorräder mit Tempo 100 km/h „vorbeibrettern“ würden.

Max Bammert
für die BI NORDZUBRINGER NEIN DANKE